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  • bjoernfreiberg

Ungeimpft? – Das Gedankenexperiment.


Achtung: Der vorliegende Essay enthält vereinzelt Satire, überspitzte Meinungen und soll v.a. der selbstkritischen Reflexion der Leserschaft und einem regen Austausch in den Kommentaren dienen. Hierbei handelt es sich durchaus um einen streitbaren Beitrag, sodass es umso wichtiger ist, dass wir uns alle zivilisiert miteinander austauschen. Bitte beherzigt die Regeln eines guten Umgangs untereinander!



Stell dir vor du bist in einem Raum - sagen wir in einem kleinen Restaurant oder Café. Mit dir haben noch 15 – 20 andere Personen da Platz finden können. Nun dürfen die Leute (wieder) rauchen, wo und wie sie das möchten und davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht. Sagen wir knapp 25% der Menschen rauchen (zum Vergleich aktuell sind es ca. 23,8%).


Stell dir nun vor du bist Nichtraucher*in und vielleicht mit deiner kleinen Familie dort eingekehrt. Du weißt, wie wir alle, dass Passivrauchen nachweislich schädlich ist und wer zudem noch andere Risikofaktoren, wie z.B. eine Immunschwäche hat, für die der- bzw. diejenige ja ausdrücklich nichts kann, der sitzt, weil es anders nicht möglich ist entweder mit dabei oder allein Zuhause. Nun stell dir vor, es gibt für dich kein Entkommen vom Passivrauchen, da es jedem immer und überall freigestellt ist, zu rauchen. Wir können wahrscheinlich alle abschätzen, wie lange und wie intensiv der Geruch nach Rauch in der Luft bleibt und wie viel später Gäste dieser Gastronomie noch von dem Rauch betroffen sein werden.


Erste Frage an dich: Wie gern würdest du dich in einer solchen gesellschaftlichen Situation in diesem Restaurant oder diesem Café aufhalten?


Zweite Frage: Wie empfindest du die Situation für die Menschen, die besonders vom Passivrauchen betroffen sein werden?


Dritte Frage: Wie sollte sich die Gesellschaft verhalten, wenn wir davon ausgehen, dass die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft nicht raucht und dennoch statistisch eindeutig belegbare gesundheitliche Schäden davonträgt?


Wir könnten sagen „Es ist die freie Entscheidung der Menschen, ob sie in Restaurants und Cafés gehen und an sozialen Veranstaltungen teilnehmen möchten.“ Sollten wir also alle, die Nichtraucher*innen sind und das ggf. gern bleiben wollen zwingen, die Konsequenzen des Passivrauchens zu ertragen und indirekt all diejenigen, die besonders vulnerabel sind ausschließen? Oder wäre es sinnvoller, das Rauchen zu regulieren und z.B. in der Öffentlichkeit – insbesondere in Räumen, Gastronomien, gesellschaftlichen Veranstaltungen etc. grundsätzlich zu verbieten und räumlich abgegrenzte Möglichkeiten bieten, bei denen sich die Raucher*innen treffen & rauchen können?



Von welcher Seite her sollte die Gesellschaft denken? Geht es uns darum, dass diejenigen, die ihre „Freiheit“ durchsetzen möchten, dies uneingeschränkt dürfen oder sollte die Gesellschaft sich selbst Regeln geben, die es insbesondere gesundheitlich vulnerablen und ggf. bereits eingeschränkten Gruppen von Personen ermöglicht, eine möglichst gleiche Teilhabe am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben zu erlangen?

Denken wir von der Seite der „Schwächsten“ her oder von der Seite der „Privilegierten“, die all diese Probleme nicht haben und daher anderen ihre Form der Lebensweise unter dem Deckmantel des Freiheitsbegriffs aufzwingen können?


Ich für meinen Teil setze mich seit vielen Jahren dafür ein, dass Kinder- und Menschenrechte geachtet & bestenfalls ausgebaut werden. Dass wir den Planeten und die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt schützen und wertschätzen und dass wir den Tieren, die gezwungenermaßen auf unsere Gnade angewiesen sind, eine gewisse Menge an Grundrechten zukommen lassen und all das tue ich (auch) aus genau diesem Gedanken: Von unten Denken und nicht von oben. Eine Welt, die ein Paradies für selbst die am wenigsten privilegierten Menschen, Tiere, Pflanzenarten etc. ist, ist glaube ich unbestreitbar besser als eine, die ein Paradies für die Privilegierten darstellt, welches zu Lasten all jener geht, die genau diese Privilegien nicht haben.


Wenn du die Überzeugung vertrittst, dass alle Menschen das gleiche Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit haben und dass wir als Gesellschaft es allen gleichermaßen ermöglichen sollten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, dann müsstest du dem Gedanken der Chancengerechtigkeit folgend auch alle, die in irgendeiner Art und Weise eingeschränkt sind (ob das nun ein Rollstuhl, Blindheit & ein Blindenhund oder eine Immunschwäche, Krebs, … ist) berücksichtigen indem du der Wortbedeutung folgend auf ihr Interesse am Leben Rücksicht nimmst. Und Chancengerechtigkeit entsteht in dieser Situation dann, wenn auch die Person mit Immunschwäche, die meinetwegen zudem noch blind und auf den Rollstuhl angewiesen ist, die Möglichkeit hat zu - soweit sich dies verhältnismäßig ermöglichen lässt - gleichen Teilen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Erst wenn wir bereit sind uns ein Stück weit „einzuschränken“ (eine kurze Impfung ist keine ernsthafte Einschränkung!) ermöglichen wir gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben!


An dieser Stelle möchte ich gerne das Beispiel des „Veil of Ignorance“ / „Schleiers des Nichtwissens“ von John Rawls anführen. Wem dieser bereits ein Begriff ist und die Transferleistung auf obige Inhalte glückt, der/ die kann diesen Absatz getrost überspringen. Der Schleier des Nichtwissens ist ein essentieller Bestandteil des monumentalen Werks zur Gerechtigkeitstheorie von Rawls. Er beschreibt den (fiktiven) Zustand, in der wir zunächst über die künftig geltende Gesellschaftsordnung entscheiden können, ohne jedoch zu wissen, an welcher Stelle wir uns in dieser Ordnung befinden werden. Man könnte sagen „Du kannst die Parameter der Welt, in die du geboren wirst festlegen, bevor du geboren wirst, weißt jedoch nicht, auf welchem Kontinent, mit welcher Hautfarbe, sexuellen Orientierung, sozialem & finanziellen Status,… du zur Welt kommen wirst.“ Übertragen wir dies auf die Situation in diesem Beispiel: Auch hier kannst du wieder die Regeln, die in dieser Gesellschaft gelten sollten, festlegen, weißt jedoch nicht, ob du eine Immunschwäche haben wirst oder morgen im Körper einer 80-jährigen Person aufwachst. Geh davon aus, dass all dies auch realistisch und möglich wäre. Wie würdest du wählen? Rauchen immer und überall oder nicht?



Man muss nun kein besonderes Genie sein, um zu erkennen, dass die Analogie mit dem Rauch auf Corona anspielt, das steht ja quasi im Titel dieses Posts. Lass uns also das Beispiel nur leicht umformulieren:


Stell dir vor du bist in einem Raum - sagen wir in einem kleinen Restaurant oder Café. Mit dir haben noch 15 – 20 andere Personen da Platz finden können. Nun dürfen die Leute kommen und gehen, wo und wie sie das möchten und davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht. Sagen wir knapp 25% der Menschen sind ungeimpft (zum Vergleich aktuell sind es ca. 33 %).


Stell dir nun vor du bist geimpft und vielleicht mit deiner kleinen Familie dort eingekehrt. Du weißt, wie wir alle, dass der Virus nachweislich schädlich ist und wer zudem noch andere Risikofaktoren, wie z.B. eine Immunschwäche hat, für die der- bzw. diejenige ja ausdrücklich nichts kann, der sitzt, weil es anders nicht möglich ist entweder mit einem erheblichen Risiko dabei oder eben allein Zuhause. Nun stell dir vor, es gibt für dich kein Entkommen vom Virus, da es jedem immer und überall freigestellt ist, nicht geimpft zu sein und trotzdem alle gesellschaftlichen Angebote uneingeschränkt zu nutzen. Ähnlich wie beim Geruch nach Rauch können wir belegen, dass auch der Virus eine längere Zeit in der Luft bleibt und wie viel später Gäste dieser Gastronomie noch von dem Virus betroffen sein werden.


Erste Frage an dich: Wie gern würdest du dich in einer solchen gesellschaftlichen Situation in diesem Restaurant oder diesem Café aufhalten?


Zweite Frage: Wie empfindest du die Situation für die Menschen, die besonders vom Virus betroffen sein werden?


Dritte Frage: Wie sollte sich die Gesellschaft verhalten, wenn wir davon ausgehen, dass die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft geimpft ist und damit sich und andere bestmöglich schützen möchte, da der Virus statistisch eindeutig belegbare gesundheitliche Schäden verursachen kann?


Wir könnten sagen „Es ist die freie Entscheidung der Menschen, ob sie in Restaurants und Cafés gehen und an sozialen Veranstaltungen teilnehmen möchten.“ Sollten wir also alle, die geimpft sind und vermutlich auch gern gesund bleiben wollen zwingen, die möglichen Konsequenzen des (unsolidarischen) Verhaltens einer gesellschaftlichen Minderheit zu tragen und hierbei indirekt all diejenigen, die besonders vulnerabel sind ausschließen? Oder wäre es sinnvoller, das gesellschaftliche Leben zu Ungunsten der Ungeimpften zu regulieren und z.B. in der Öffentlichkeit – insbesondere in Räumen, Gastronomien, gesellschaftlichen Veranstaltungen etc. grundsätzlich den Zutritt für Ungeimpfte zu untersagen und ihnen stattdessen ggf. räumlich abgegrenzte Möglichkeiten bieten, die sie zum Treffen nutzen können?


[Anm. d. Autors: Der letzte Teil enthält natürlich weder durchdachte noch ernstgemeinte Vorschläge für eine Regulierung, sondern ist lediglich so angepasst worden, dass er möglichst große sprachliche Ähnlichkeiten zum Ausgangsbeispiel hat.]


Nochmal: Denken wir von der Seite der „Schwächsten“ her oder von der Seite der „Privilegierten“, die möglicherweise kaum von dem Virus betroffen sind / sein werden und daher anderen ihre Form der Lebensweise unter dem Deckmantel des Freiheitsbegriffs aufzwingen können (sollten)?

Ich für meinen Teil sehe es so: Meine Entscheidung mich zu impfen oder eben auch nicht ist im Zweifelsfall der Unterschied zwischen einer Erkrankung deiner Eltern, Großeltern, Geschwister und möglicherweise auch dir. In welcher Welt möchte ich Leben? In einer, in der wir Rücksicht aufeinander nehmen und die vergleichsweise minimale Chance auf Nebenwirkungen auf uns nehmen, um uns und andere nicht einer viel größeren Chance auf eine Erkrankung mit Nachwirkungen auszusetzen oder in einer, in der das Privileg dominiert?

Stell dir zum Abschluss nochmal die Frage: Wäre ich hinter einem Schleier verborgen und könnte nur entscheiden, wie die Welt aussieht, in der ich leben werde, wie würde ich die Welt (mit-)gestalten? Oder frei nach Shakespeare „Von oben denken oder von unten denken, das ist die Frage.“


An dieser Stelle wünsche ich allen Leser*innen alles Gute und freue mich auf einen interessanten Austausch in den Kommentaren.


Björn

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